„Glanz statt Hunger: Designerhandtaschen als unbewusste Botschaften bei Essstörungspatientinnen“
Einleitung
Ein eigenartiges Phänomen fällt immer wieder in der klinischen Arbeit mit Patientinnen (und zunehmend auch Patienten) mit Essstörungen auf: Trotz oft schwerer körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen erscheinen viele äußerlich hochgradig kontrolliert, gepflegt – und tragen auffallend schöne, exklusive Handtaschen. Diese scheinbare Nebensächlichkeit ist psychoanalytisch betrachtet alles andere als trivial. Vielmehr kann sie als symbolische Mitteilung verstanden werden, die unbewusste Dynamiken von Scham, Neid, Idealisierung und projektiver Identifizierung sichtbar macht.
Handtaschen als narzisstische Objekte
In der Tradition der Objektbeziehungstheorien (Winnicott, 1958; Kohut, 1971) wird deutlich: Menschen, deren frühe emotionale Bedürfnisse nach Spiegelung und empathischer Resonanz nicht ausreichend erfüllt wurden, entwickeln oft eine besondere Beziehung zu sogenannten Selbstobjekten. Diese fungieren als äußere Stützen für ein fragiles Selbstgefühl.
Eine Designertasche kann dabei mehr sein als ein modisches Accessoire: Sie wird zur Erweiterung des Selbst, ein „emotionales Prothesenobjekt“ (Krystal, 1988), das Schutz bietet gegen das Erleben innerer Leere und Fragmentierung. Die Tasche strahlt eine perfekte Oberfläche aus – makellos, geordnet, bewundert – im Kontrast zum innerlich erlebten Chaos, zur Entwertung des eigenen Körpers und Selbst.
Projektive Identifizierung und induzierter Neid
In der Übertragungssituation mit essgestörten Patientinnen (insbesondere bei Anorexie oder Bulimie) kann es zu einer intensiven Form projektiver Identifizierung kommen. In diesem Mechanismus (Klein, 1946) werden unbewusst unerträgliche Selbstanteile in das Gegenüber hineinverlagert, das dann diese Affekte erlebt oder handelt.
Bezogen auf das Phänomen der luxuriösen Handtaschen geschieht Folgendes:
Die Patientin bietet über das glatte, scheinbar perfekte Objekt eine Inszenierung von Wert, Unberührbarkeit und Exklusivität an.
Im Therapeuten wird dabei oft ein Gefühl von Neid induziert: eine leise Irritation, vielleicht auch Bewunderung oder Abwertung („Wie kann sie sich das leisten?“ – „Warum wirkt sie so überlegen, wo sie doch so zerbrechlich ist?“).
Diese emotionale Reaktion ist nicht zufällig, sondern wird unbewusst gesucht und inszeniert: Der Neid des Therapeuten soll die tiefe eigene Scham und Minderwertigkeit abwehren und externalisieren.
Wie Hinshelwood (1991) beschreibt, kann projektive Identifizierung hier nicht nur als Abwehr, sondern auch als Kommunikation von unformulierten inneren Zuständen verstanden werden. Das luxuriöse Objekt wird zum Symbol eines unbewussten Appells: „Beneide mich – damit ich spüren kann, dass ich existiere.“
Was liegt hinter dem Glanz?
Unter der glänzenden Oberfläche der Designerhandtasche verbergen sich häufig unbearbeitete primitive Affekte:
Tiefe Scham über den eigenen Körper und das eigene Selbst.
Existenzielle Angst, ausgelöscht oder bedeutungslos zu sein.
Unerträgliche Bedürftigkeit, die nicht gezeigt werden darf.
Die Tasche wird damit zur „narzisstischen Hülle“ (Grotstein, 1981), die die wahre emotionale Bedürftigkeit tarnt. Der Wunsch, im Außen zu glänzen, kompensiert die Unfähigkeit, im Inneren Kohärenz und Wert zu erleben. Der inszenierte Neid anderer soll kurzfristig das fragile Selbst stützen, doch langfristig vertieft sich die Isolation, weil die authentische Beziehung – die Anerkennung des verletzlichen, bedürftigen Selbst – ausbleibt.
Therapeutische Implikationen
In der Arbeit mit diesen Patientinnen ist es entscheidend, die eigenen Gegenübertragungsreaktionen ernst zu nehmen, ohne ihnen impulsiv zu folgen. Das stille Bewusstmachen der induzierten Affekte (Neid, Bewunderung, Entwertung) kann helfen, Zugang zu dem zu finden, was hinter der äußeren Fassade liegt: eine oft unerträgliche Bedürftigkeit nach echter Beziehung, nach Halt, nach Spiegelung des nicht-perfekten Selbst.
Die therapeutische Aufgabe besteht darin, dem Patienten in einer fein abgestimmten Haltung von Empathie und emotionaler Standfestigkeit zu begegnen – ohne auf die projektive Verführung hereinzufallen, aber auch ohne sich von der Glanzfassade blenden oder abstoßen zu lassen.
Fazit
Handtaschen – scheinbar harmlose Luxusobjekte – können im Kontext von Essstörungen zu bedeutsamen Symbolträgern werden. Sie erzählen leise von Verlust, Angst und dem verzweifelten Versuch, das fragile Selbst zu schützen. Ein psychoanalytisches Verständnis dieser Dynamik öffnet den Raum, hinter den äußeren Glanz zu blicken – und das wahre emotionale Drama, das sich dahinter verbirgt, zu erkennen und zu halten.
Literatur
Grotstein, J. S. (1981). Splitting and Projective Identification. Jason Aronson.
Hinshelwood, R. D. (1991). A Dictionary of Kleinian Thought. Free Association Books.
Klein, M. (1946). Notes on Some Schizoid Mechanisms. In Envy and Gratitude and Other Works.
Kohut, H. (1971). The Analysis of the Self. International Universities Press.
Krystal, H. (1988). Integration and Self-Healing: Affect, Trauma, Alexithymia. The Analytic Press.
Winnicott, D. W. (1958). The Capacity to be Alone. International Journal of Psychoanalysis.