OPD Achse I: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen – Ein Blick auf die psychodynamische Diagnostik
Die operationalisierte psychodynamische Diagnostik (OPD) ist ein strukturiertes Diagnoseinstrument, das in der psychodynamischen Psychotherapie von zentraler Bedeutung ist. Die OPD hilft dabei, die psychischen Prozesse und Strukturen eines Patienten zu verstehen, um eine fundierte Therapieplanung zu ermöglichen. Eine der wichtigsten Dimensionen innerhalb dieses Modells ist Achse I, die sich mit dem Krankheitserleben und den Behandlungsvoraussetzungen eines Patienten befasst. In diesem Blogartikel möchten wir die Bedeutung der Achse I der OPD näher betrachten, die Diagnosekriterien verstehen und deren klinische Relevanz für die psychodynamische Praxis beleuchten.
1. Was ist Achse I der OPD?
In der OPD-2 (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik, 2. Auflage, 2016) wird Achse I als Dimension beschrieben, die sich auf das Krankheitserleben des Patienten und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung konzentriert. Sie umfasst die Symptomatik und die Erfahrungen des Patienten, wie er oder sie die eigenen psychischen Beschwerden erlebt und welche Bedingungen notwendig sind, um eine therapeutische Veränderung zu ermöglichen.
Ziel der Achse I ist es, die subjektive Wahrnehmung der Krankheit des Patienten zu verstehen, da diese Wahrnehmung einen erheblichen Einfluss auf die Therapiebereitschaft und den Behandlungsprozess hat. Dies ist besonders wichtig, da die Bereitschaft zur therapeutischen Arbeit und die Kooperationsfähigkeit stark davon abhängen, wie der Patient seine Probleme sieht und welche Voraussetzungen er für eine mögliche Veränderung als gegeben ansieht.
2. Krankheitserleben und seine Bedeutung
Das Krankheitserleben bezieht sich darauf, wie der Patient seine psychischen Symptome erlebt und wie diese seine Lebensqualität und sein tägliches Funktionieren beeinflussen. McWilliams (2020) betont, dass der Umgang mit psychischen Problemen tief in der subjektiven Erfahrung des Patienten verwurzelt ist und eine wesentliche Rolle im therapeutischen Prozess spielt. Ein differenziertes Krankheitserleben kann entweder die Therapiebereitschaft fördern oder zu einer Ablehnung von Hilfe führen.
Ein Patient, der seine Symptome als eine Form von Schwäche oder Charakterschwäche versteht, könnte Schwierigkeiten haben, sich auf den therapeutischen Prozess einzulassen. Andererseits kann ein Patient, der seine Beschwerden als Behandlungsmöglichkeit oder Konflikt versteht, eine stärkere Kooperationsbereitschaft und ein höheres Maß an Selbstreflexion entwickeln.
Die OPD Achse I ermöglicht es, psychodynamische und existenzielle Aspekte des Krankheitserlebens zu verstehen und zu berücksichtigen. Dazu gehören Angst, Schuldgefühle, Trauer oder das Erleben von Fehlleistungen. Diese psychischen Phänomene sind oft stark mit unbewussten inneren Konflikten und Abwehrmechanismen verbunden, die im therapeutischen Prozess thematisiert werden können.
3. Behandlungsvoraussetzungen nach Achse I
Die Behandlungsvoraussetzungen in der OPD-2 bezeichnen die psychischen Voraussetzungen und die äußeren Bedingungen, die notwendig sind, damit eine Therapie erfolgreich verlaufen kann. Dazu gehören neben der Therapiebereitschaft auch Faktoren wie die psychische Stabilität, das Vertrauen in die therapeutische Beziehung sowie die Fähigkeit zur Veränderung.
Ein wichtiger Aspekt der Achse I ist die Frage, ob der Patient offen für Veränderungen ist oder ob eine starke Widerstandshaltung besteht. Diese Widerstände können aus verschiedenen Gründen entstehen, beispielsweise aufgrund von unbewussten Ängsten, der Angst vor Veränderung oder der Angst vor Verlust (z. B. Verlust des Selbstbildes oder der Identität).
Mentzos (2003) betont, dass die Therapiebereitschaft oft mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion zusammenhängt, die es dem Patienten ermöglicht, die eigenen inneren Konflikte zu erkennen und zu bearbeiten. Eine zentrale Aufgabe des Therapeuten ist es, diese Therapievoraussetzungen zu erkennen und in der Arbeit zu berücksichtigen. Wenn die Behandlungsbereitschaft nicht vorhanden ist, wird der Therapeut Strategien entwickeln müssen, um die Widerstände zu verstehen und zu bearbeiten.
4. Beispielhafte Anwendung der Achse I in der Therapie
In der klinischen Praxis kann die OPD Achse I dazu beitragen, einen besseren Überblick über die inneren Konflikte und die psychische Organisation des Patienten zu bekommen. Ein Beispiel: Ein Patient kommt in die Therapie, weil er unter wiederkehrenden Ängsten und Depressionen leidet. Im Rahmen der OPD wird in Achse I untersucht, wie der Patient diese Symptome erlebt, wie sie seinen Alltag beeinflussen und welche inneren Konflikte damit zusammenhängen.
Zudem wird die Frage aufgeworfen, welche Voraussetzungen der Patient mitbringt, um in die therapeutische Arbeit einzutreten. Ist der Patient bereit, sich auf tiefgreifende emotionale Auseinandersetzungen einzulassen? Hat der Patient Vertrauen in den Therapieprozess? Wird der Patient die notwendige Stabilität besitzen, um eine Veränderung im therapeutischen Rahmen zuzulassen?
Wenn diese Fragen in der Diagnose erfasst werden, ist es für den Therapeuten möglich, die Behandlung individuell anzupassen, z. B. durch die Auswahl spezifischer therapeutischer Interventionen oder die Arbeit an Vertrauensaufbau und Kooperation.
5. Fazit: Die OPD Achse I als Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung
Die OPD Achse I ist ein zentrales Element der psychodynamischen Diagnostik und stellt sicher, dass sowohl das Krankheitserleben als auch die Behandlungsvoraussetzungen eines Patienten bei der Therapieplanung berücksichtigt werden. Sie hilft dabei, nicht nur die Symptome des Patienten zu erfassen, sondern auch die inneren Dynamiken, die das Krankheitsverständnis und die Bereitschaft zur Veränderung beeinflussen.
Eine differenzierte Analyse dieser Achse ist für den Therapeuten unerlässlich, da sie ein tiefes Verständnis der subjektiven Erfahrungen des Patienten ermöglicht und die Grundlage für eine erfolgreiche therapeutische Arbeit bildet.
Literatur:
Hogrefe, W. (2016). Operationalisierte psychodynamische Diagnostik OPD-2. Hogrefe Verlag.
McWilliams, N. (2020). Psychoanalytic Diagnosis: Understanding Personality Structure in the Clinical Process. The Guilford Press.
Mentzos, J. (2003). Neurotische Konfliktverarbeitung: Ein psychoanalytischer Zugang. Fischer Verlag.