Strukturelle Integrationsniveaus nach OPD: Einblicke in die Psychodynamische Diagnostik
In der psychodynamischen Diagnostik wird die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) als wertvolles Instrument zur Beurteilung der psychischen Struktur und der inneren Konflikte eines Patienten genutzt. Eine zentrale Achse in diesem Diagnosesystem sind die strukturellen Integrationsniveaus. Diese Achse beschreibt, wie gut verschiedene psychische Funktionen integriert sind und wie stabil die Selbstwahrnehmung sowie die Beziehungsgestaltung eines Patienten sind. Die Integrationsniveaus geben einen wichtigen Hinweis darauf, wie die innere Welt eines Patienten organisiert ist und in welchem Maße innerpsychische Konflikte das tägliche Leben und die Beziehungsmuster beeinflussen.
1. Was sind strukturelle Integrationsniveaus nach OPD?
Die Achse 4 der OPD, die die strukturellen Integrationsniveaus umfasst, beschreibt die Fähigkeit eines Individuums, verschiedene innere Konflikte und psychische Strukturen zu integrieren und eine kohärente Selbstwahrnehmung aufrechtzuerhalten. Diese Niveaus reichen von einer relativ hohen Integration der psychischen Funktionen bis zu einer schwachen oder fragmentierten Integration, die mit psychischen Störungen wie Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder schweren psychotischen Erkrankungen verbunden sein kann.
2. Die fünf strukturellen Integrationsniveaus
In der OPD wird die Struktur eines Individuums anhand von fünf unterschiedlichen Integrationsniveaus beurteilt. Diese reichen von einer hohen bis zu einer geringen Integration und spiegeln wider, wie gut ein Patient in der Lage ist, innere Widersprüche zu integrieren, Selbstbilder zu stabilisieren und Beziehungen zu gestalten:
• Hohe Integration (Stufe 1): Ein Patient auf dieser Stufe zeigt eine weitgehend stabile und kohärente Selbstwahrnehmung, ist in der Lage, Beziehungen zu führen, die auf Empathie und Wertschätzung basieren, und kann seine inneren Konflikte effektiv regulieren. Der Patient hat die Fähigkeit, positive wie auch negative Emotionen zu integrieren und zu verarbeiten.
• Mittlere Integration (Stufen 2 und 3): Hier befindet sich der Patient in einer Phase der Stabilisierung, in der innere Konflikte zwar bestehen, aber nicht zu außerordentlichen Störungen führen. Es können innere Spannungen auftreten, und der Patient hat möglicherweise Schwierigkeiten, komplexe Beziehungsdynamiken zu verstehen oder zu akzeptieren. Die Selbstwahrnehmung ist oft instabiler und schwankt zwischen verschiedenen Selbstbildern.
• Geringe Integration (Stufen 4 und 5): Ein Patient mit einer niedrigen Integration hat Schwierigkeiten, die inneren Widersprüche und Konflikte zu integrieren. Diese Patienten neigen dazu, ihre Gefühle zu verdrängen, äußere Bestätigung zu suchen und haben oft große Probleme in der Beziehungsgestaltung. Bei sehr geringer Integration kann der Patient auch psychotische Züge zeigen, wobei eine starke Fragmentierung des Selbstbildes vorliegt.
3. Psychodynamische Bedeutung der strukturellen Integrationsniveaus
Die Struktur einer Person, wie sie durch die OPD erfasst wird, ist entscheidend, um zu verstehen, wie sie mit den Herausforderungen des Lebens umgeht. Eine Person mit einem hohen Integrationsniveau kann komplexe emotionale und zwischenmenschliche Probleme auf eine gesunde Weise bewältigen. Sie besitzt die Fähigkeit, emotionale Konflikte zu erkennen, zu akzeptieren und zu verarbeiten, ohne dass diese ihre Wahrnehmung der Realität verzerren.
Im Gegensatz dazu haben Menschen mit einer geringeren Integration Schwierigkeiten, Selbstbewusstsein und Beziehungen zu stabilisieren. Sie erleben die Welt oft als chaotisch und bedrohlich, was zu instabilen Beziehungen, Vermeidung von Konflikten oder übermäßigen Abhängigkeiten führen kann. Der hohe Grad an Fragmentierung in ihrer inneren Welt lässt sie oft von den externen Einflüssen der Umgebung übermäßig beeinflussen, was das Entstehen von psychischen Störungen begünstigen kann.
4. Diagnosen und strukturelle Integrationsniveaus
Die strukturellen Integrationsniveaus nach OPD bieten wertvolle Einblicke in die Diagnose von psychischen Störungen und deren Schweregrad. Je nach Integrationsniveau können verschiedene Diagnosen differenziert betrachtet werden.
• Personen mit hoher Integration sind in der Regel weniger anfällig für schwere psychische Störungen. Sie neigen dazu, in der Psychotherapie gute Fortschritte zu machen und können eine gesunde Beziehungsgestaltung entwickeln.
• Personen mit mittlerer Integration haben häufiger Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen und können eine anfällige Persönlichkeitsstruktur aufweisen. Sie könnten neurotische Symptome wie Angst oder depressive Verstimmungen aufweisen.
• Personen mit niedrigerer Integration, wie beispielsweise Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, haben größere Schwierigkeiten, ihre Identität zu stabilisieren und können zu affektiven und impulsiven Störungen neigen.
Ein niedriges Integrationsniveau kann in Fällen von schweren psychischen Störungen wie Schizophrenie oder anderen psychotischen Störungen zu einer Fragmentierung des Selbstbildes und zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität führen.
5. Therapeutische Implikationen der strukturellen Integrationsniveaus
Die OPD stellt nicht nur ein diagnostisches Modell dar, sondern auch ein wertvolles Hilfsmittel, um den Therapieprozess zu steuern. Die Kenntnis des Integrationsniveaus eines Patienten hilft, therapeutische Interventionen zu planen und die Ziele einer Behandlung zu definieren.
• Hohe Integration: Patienten mit einem hohen Integrationsniveau profitieren von einer differenzierten und reflektierten Therapie, bei der die Arbeit an emotionale Differenzierung und die Verarbeitung komplexer innerer Konflikte im Vordergrund steht.
• Mittlere Integration: Hier kann die Therapie auf die Stabilisierung der inneren Welt und die Verbesserung der Beziehungsfähigkeit abzielen. Der Fokus liegt auf der Verarbeitung von Konflikten und der Förderung von Selbstwertgefühl und Selbstregulation.
• Geringe Integration: Bei Patienten mit einer niedrigen Integration ist eine intensive therapeutische Beziehung erforderlich, um zu verhindern, dass der Patient in psychotische oder destruktive Zustände abrutscht. Die Therapie muss oft tiefgründige Beziehungsarbeit leisten, um eine kohärente Identität zu fördern.
6. Fazit
Die strukturellen Integrationsniveaus nach OPD bieten einen umfassenden Einblick in die inneren Konflikte und psychischen Strukturen eines Patienten. Sie ermöglichen eine differenzierte Einschätzung des psychischen Wohlbefindens und der Beziehungsfähigkeit und sind damit von zentraler Bedeutung für die psychodynamische Diagnostik und Therapieplanung.
Durch das Verständnis des Integrationsniveaus eines Patienten können Therapeuten gezielt therapeutische Ziele entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen des Patienten abgestimmt sind. Dies trägt nicht nur zur Diagnosegenauigkeit bei, sondern auch zur Förderung des Heilungsprozesses, indem es eine stabile und gesunde Selbstwahrnehmung und Beziehungsfähigkeit aufbaut.
Literaturangabe:
• OPD-2: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Hogrefe, 2016.