Zwischen Körper und Seele – Warum interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig ist
Zur Notwendigkeit des Dialogs zwischen Medizin, Psychologie und Psychoanalyse
Seit Freud den Begriff des „psychischen Apparats“ einführte, steht die Psychoanalyse in einem spannungsreichen Verhältnis zur Medizin. Einerseits entstand sie aus der medizinischen Beobachtung – aus der klinischen Begegnung mit hysterischen Symptomen, die keine organische Erklärung fanden. Andererseits überschreitet sie seither den medizinischen Rahmen, indem sie das Subjekt in seiner inneren Welt, seinen Beziehungen und unbewussten Konflikten ernst nimmt. In der heutigen Zeit, in der psychische und körperliche Erkrankungen zunehmend als „multifaktoriell“ verstanden werden, ist der interdisziplinäre Dialog zwischen Medizin, Psychologie und Psychoanalyse aktueller denn je.
Die Grenzen des Körperlichen
Körperliche Symptome sind nie rein somatisch. Schon Franz Alexander (1950) und später Pierre Marty (1966) zeigten, dass psychosomatische Erkrankungen aus einer Störung der affektiven Regulation hervorgehen können – einer Blockade zwischen emotionalem Erleben und körperlichem Ausdruck. Der Körper wird dann zum Sprachrohr des Unbewussten, wenn Worte fehlen.
Medizinische Diagnostik stößt hier an Grenzen: Der Laborwert kann die seelische Dimension nicht erfassen, der Befund sagt nichts über Schuldgefühle, Verlustängste oder Beziehungskonflikte, die sich in der Symptomatik verdichten. Zugleich ist auch die Psychoanalyse ohne die Kenntnisse der Medizin unvollständig – sie darf körperliche Realitäten nicht in reine Symbolik auflösen.
Eine fruchtbare Zusammenarbeit erfordert daher eine Haltung gegenseitiger Anerkennung: Der Körper ist nicht nur Träger organischer Prozesse, sondern Ausdruck einer biografisch geprägten, emotionalen Geschichte.
Der psychische Raum in der Medizin
In der klinischen Praxis zeigt sich immer wieder, wie sehr Heilungsprozesse vom emotionalen Kontext abhängen. Arzt-Patient-Beziehungen sind nicht frei von Übertragung und Gegenübertragung: Hoffnungen, Ängste, Idealisierungen oder Enttäuschungen strukturieren das medizinische Feld ebenso wie das therapeutische. Michael Balint (1957) betonte, dass „das wichtigste Medikament der Arzt selbst ist“. Seine Arbeit mit Allgemeinmediziner*innen zeigte, wie unbewusste Dynamiken den Behandlungserfolg beeinflussen können.
In der heutigen Medizin, die stark von Zeitdruck und Technisierung geprägt ist, droht dieser Beziehungssinn verloren zu gehen. Psychoanalytische Perspektiven können hier helfen, die menschliche Dimension der Heilkunst zu bewahren – die Anerkennung des Patienten als Subjekt, nicht bloß als Träger einer Diagnose.
Gegenseitige Ergänzung statt Abgrenzung
Interdisziplinäre Kooperation bedeutet nicht Verwischung der Grenzen, sondern gegenseitige Befruchtung. Während die Medizin die somatische Grundlage erforscht, beleuchtet die Psychoanalyse die seelischen Bedeutungen. Psychologische und psychosomatische Forschung kann diese Perspektiven verbinden – etwa in der Behandlung chronischer Erkrankungen, Schmerzzustände, funktioneller Störungen oder psychosomatischer Beschwerden.
Das Ziel ist nicht, „den wahren Grund“ zu finden, sondern ein Verständnis der Vielschichtigkeit menschlichen Leidens zu fördern. Krankheit ist kein Defekt, der repariert werden muss, sondern Ausdruck eines Systems, das auf mehreren Ebenen kommuniziert – biologisch, psychisch, sozial.
Ein gemeinsamer Raum des Verstehens
Die Integration psychoanalytischen Denkens in medizinische Kontexte – etwa in Spitälern, Rehabilitationszentren oder onkologischen Einrichtungen – eröffnet Räume des Verstehens, in denen sich Ärztinnen, Psychologinnen und Therapeut*innen begegnen können. Wenn die Medizin das Seelische mitdenkt und die Psychoanalyse das Körperliche nicht ausklammert, entsteht eine Haltung der Komplementarität.
Der Patient wird dann nicht länger Objekt einer Behandlung, sondern Subjekt eines Beziehungsprozesses, in dem Heilung – oder wenigstens Verständnis – möglich wird.
Schlussgedanke
Zwischen Körper und Seele verläuft keine klare Grenze. Krankheit, Schmerz und Heilung sind stets beides: somatisch und psychisch, sichtbar und verborgen, individuell und sozial. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist deshalb nicht nur fachlich, sondern ethisch notwendig – sie schützt das Subjekt vor Reduktion, sie bewahrt Komplexität, und sie erinnert daran, dass Verstehen selbst ein Teil des Heilens ist.
Literaturhinweise:
Alexander, F. (1950). Psychosomatic Medicine: Its Principles and Applications. New York: Norton.
Balint, M. (1957). The Doctor, His Patient and the Illness. London: Pitman.
Marty, P. (1966). La psychosomatique de l’adulte. Paris: PUF.
Winnicott, D. W. (1960). The Theory of the Parent-Infant Relationship. International Journal of Psychoanalysis, 41, 585–595.
Parat, C. (2000). Corps et psyché: La psychosomatique entre médecine et psychanalyse. Paris: Dunod.