„You Are Not I“ – Neid, Gier und die Zersetzung der inneren Welt

Sara Drivers Film You Are Not I (1981) zeigt in beklemmender Klarheit, wie das Subjekt unter der Last des Neids und der Gier nach Identität zusammenbricht. Basierend auf Paul Bowles’ gleichnamiger Kurzgeschichte, entfaltet sich hier ein psychisches Drama, das weniger Handlung als Zustand ist – ein innerer Film, in dem das Ich die Grenzen seiner selbst verliert.

Die Protagonistin, Ethel, entkommt einer psychiatrischen Anstalt und tritt in eine Welt, die sie nicht mehr erkennt. Sie glaubt, die Rollen und Identitäten anderer Menschen übernehmen zu können – eine halluzinatorische Verwechslung, in der die Differenz zwischen Innen und Außen, Selbst und Objekt, Subjekt und Anderen aufgehoben ist.

Neid als Zerstörung der Differenz

Melanie Klein (1957) beschreibt Neid als den Angriff auf die Quelle des Guten – auf das Objekt, das nährt, liebt und integriert. Der Neid will nicht besitzen, sondern vernichten; er kann das Gute nicht ertragen, weil es als unerreichbar erlebt wird. Ethel lebt in genau dieser Logik: Sie kann das Andere – die Schwester, die Normalität, das Leben außerhalb des Wahns – nicht ertragen. Statt zu lieben, identifiziert sie sich zerstörerisch mit dem Objekt, das sie beneidet.

In dieser psychotischen Identifikation ist keine symbolische Distanz mehr möglich. Das Subjekt sagt – wie der Filmtitel: You are not I – und meint zugleich: Ich bin du. Das ist der paradoxe Satz des Neides: Er leugnet Differenz und beansprucht sie zugleich.

„Neid ist der Schmerz über das Gute des Anderen, verbunden mit dem Wunsch, es zu zerstören“
(Klein, Envy and Gratitude, 1957, S. 181)

Gier als verzweifelter Versuch, das Gute zu verschlingen

Während Neid zerstört, will Gier verschlingen. Gier ist ein Angriff auf das Objekt durch Überwältigung. In You Are Not Izeigt sich Gier als psychische Kolonisierung: Ethel will die Psyche der Schwester, deren Körper, deren Welt verschlingen – in sich hineinnehmen, um das Gefühl der Leere zu tilgen.

Bion (1959) beschreibt in Attacks on Linking diesen Prozess als Zersetzung der Denkfunktion selbst: Gier zerstört die Fähigkeit, zu verknüpfen, zu symbolisieren, zu träumen. In Ethel ist das Denken bereits auseinandergefallen – was bleibt, ist eine Serie von fragmentarischen Identifikationen, ein leeres Begehren ohne Richtung.

Das Auseinanderfallen der inneren Organisation

Freud (1924) sah im Ich eine Organisation, die durch Abwehr stabilisiert wird. In der Psychose wird diese Organisation durchlöchert; das Über-Ich tritt nach außen, die Realität verliert ihre Grenzen.
Klein und später Hinshelwood (1991) zeigen, dass Neid und Gier diese Organisation von innen her angreifen – sie sind nicht einfach Emotionen, sondern Angriffe auf die Struktur, die das Subjekt zusammenhält.

Ethels „Verwandlung“ ist daher kein Symbol, sondern ein Zusammenbruch. Sie lebt im permanenten Zwischenzustand: ohne Haut, ohne Grenze, ohne Spiegel. Das Andere wird nicht mehr erlebt, sondern inkorporiert.

Die psychoanalytische Dimension des Titels

„You Are Not I“ ist zugleich ein Abwehrsatz und ein Hilfeschrei. Er markiert das, was in der Psychose verloren geht – die Differenz. In der Sprache des Neides heißt dieser Satz: „Ich will, dass du nicht du bist, damit ich sein kann.“ In der Sprache der Gier: „Ich will dich in mir, damit ich mich spüre.“
Beides führt in die gleiche Sackgasse: in das Verschwinden des Ichs.

Sara Drivers filmische Sprache – statisch, repetitiv, traumartig – spiegelt diesen Zustand. Die Kamera schaut, als wäre sie das „kleine Stück unzerstörte Realität“, das, wie Freud in Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (1911) schreibt, außerhalb des Wahnsinns steht und ihn beobachtet.


Literaturhinweise

  • Freud, S. (1911). Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides). GW VIII. Frankfurt a.M.: S. Fischer.

  • Freud, S. (1924). Das Ich und das Es. GW XIII. Frankfurt a.M.: S. Fischer.

  • Klein, M. (1957). Envy and Gratitude. London: Tavistock.

  • Bion, W. R. (1959). Attacks on Linking. International Journal of Psycho-Analysis, 40, 308–315.

  • Hinshelwood, R. D. (1991). A Dictionary of Kleinian Thought. London: Free Association Books.

  • Bowles, P. (1948). You Are Not I. In The Delicate Prey and Other Stories. New York: Random House.

  • Driver, S. (Director). (1981). You Are Not I [Film]. New York.

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