„Weißer Rauch, schwarzes Unbewusstes“ – Die Papstwahl, das Konklave und die Tiefenschichten Roms

Ein psychoanalytischer Blick auf ein religiöses Weltereignis

Wenn in der Sixtinischen Kapelle der weiße Rauch aufsteigt, hält die Welt den Atem an. Die Wahl eines neuen Papstes – eines „Stellvertreters Christi auf Erden“ – ist mehr als ein kirchenpolitisches Ereignis. Es ist ein Ritual mit tiefer symbolischer, emotionaler und psychodynamischer Bedeutung. Wie lässt sich das aus psychoanalytischer Perspektive verstehen? Welche inneren Bewegungen, welche archaischen Bilder berührt das Konklave – und was sagt uns das über Rom, über Macht, über Projektionen auf geistliche Autorität?

1. Das Konklave: Ritual, Regression, Repräsentation
Das Konklave (lat. cum clave – „mit dem Schlüssel“) ist ein abgeschlossenes Wahlverfahren. Kardinäle aus aller Welt versammeln sich in strenger Abgeschiedenheit im Vatikan, um – nach Gebet, Debatte und Stimmgang – den neuen Papst zu wählen. Die Atmosphäre ist feierlich, streng, archaisch.

Psychoanalytisch betrachtet erinnert das Setting an ein Übergangsritual (rite de passage) im Sinne von Arnold van Gennep oder Victor Turner: Die Welt steht still, der alte Papst ist tot (oder zurückgetreten), der neue ist noch nicht bekannt – eine „liminale Phase“, wie Turner sagt, in der Ordnung außer Kraft gesetzt wird und sich ein neuer Zustand vorbereitet. In dieser Schwebe liegt Angst – aber auch Projektionsfläche für kollektive Sehnsucht: nach Orientierung, nach Führung, nach geistiger Ganzheit.

Der Moment der Wahl – die Bekanntgabe „Habemus Papam“ – wirkt wie ein kollektiver kathartischer Akt: Die Leerstelle wird gefüllt, die Vaterfigur kehrt zurück. In Freudscher Lesart ist der Papst nicht nur ein Kirchenoberhaupt, sondern eine überhöhte Vaterfigur, Träger von Über-Ich-Funktionen, von Ordnung und Trost.

2. Rom als Unbewusstes Europas
Rom ist nicht nur geografischer Ort – Rom ist Symbol: der Sitz der Kirche, der Ort der Märtyrer, das Herz des Katholizismus. Aber auch: ein Ort politischer Gewalt, patriarchaler Macht, imperiale Zentrale. Die psychoanalytische Betrachtung Roms als „Stadt der inneren Bilder“ zeigt ein Nebeneinander von Heiligkeit und Schuld, von Erlösung und Machtausübung.

Freud selbst beschreibt in Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) die religiöse Institution als Trägerin kultureller Gedächtnisse, die sich in Riten, Regeln und Mythen sedimentieren. Rom wird so zu einer „Topographie des Unbewussten“: Katakomben, Altäre, Statuen – alles erinnert an Vergangenes, Verdrängtes, Erhöhtes.

3. Die Wahl des Vaters – eine kollektive Übertragung
Der Papst wird „gewählt“, aber er wird in der Vorstellung vieler nicht einfach eingesetzt, sondern offenbart. Dieses Narrativ („vom Heiligen Geist geleitet“) entspricht psychodynamisch dem Wunsch, Autorität nicht als Willkür zu erleben, sondern als übergeordnet, legitimiert, nahezu archetypisch. Der Papst ist nicht bloß Amtsinhaber – er verkörpert eine transzendente Vaterfigur, wie sie C.G. Jung als archetypisch beschrieb: weise, milde, allwissend, ordnend.

Die Sehnsucht nach einem solchen Vater entspringt einer kindlichen Struktur im Unbewussten: das Bedürfnis nach Sicherheit, Orientierung, Grenzen. In Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung wird das Konklave so zur Bühne einer kollektiven Regression – ein Rückfall in die Hoffnung, dass eine klare Stimme „von oben“ Ordnung stiftet.

4. Schuld, Macht und Sakralität: Die Ambivalenz des Amtes
Zugleich ist das Papstamt auch Projektionsfläche für ambivalente Gefühle: Die katholische Kirche ist nicht nur Hüterin spiritueller Werte – sie ist auch Trägerin historischer Schuld, Ort von Missbrauch, Schweigen und Machtmissbrauch. Psychoanalytisch gesprochen: Die Vaterfigur ist immer auch ambivalent – geliebt und gefürchtet, idealisiert und misstraut.

Die Wahl eines neuen Papstes ist daher auch ein symbolischer Akt der Wiedergutmachung: Es wird eine neue Vaterfigur eingesetzt, die Hoffnung auf Erneuerung und Läuterung in sich trägt. Der weiße Rauch verheißt nicht nur Kontinuität, sondern auch Neuanfang.

5. Die Inszenierung der Wahl: Theater und Wahrheit
Die Papstwahl ist auch ein religiöses Theater – mit Kleidung, Farben, Gesten, Formeln. Diese Theatralik ist kein „Schein“, sondern erfüllt eine wichtige psychische Funktion: Sie stellt Übergänge dar, verkörpert Wandlung, gibt Form und Halt in Zeiten der Unsicherheit. Wie in einem Traum erscheinen Symbole, die nicht logisch, aber emotional bedeutsam sind.

Freud verglich Religion mit einem kollektiven Traum. Die Psychoanalyse kann helfen, diesen Traum zu deuten – nicht um ihn zu zerstören, sondern um seine emotionale Logik zu verstehen.

Fazit: Der Papst als inneres Bild
Die Papstwahl ist kein rein kirchenpolitischer Vorgang – sie ist ein seelisches Ritual. Sie berührt tiefe psychische Schichten: unsere Vorstellung von Führung, von göttlicher Ordnung, von moralischer Instanz. In der Symbolfigur des Papstes verdichten sich Übertragung, Idealisierung, Schuld und Hoffnung.

Rom – mit all seiner Geschichte – bleibt Bühne dieser inneren Dramen. Die Psychoanalyse kann helfen, die inneren Bilder hinter dem weißen Rauch zu erkennen – und vielleicht zu verstehen, was wir in diesen alten Mauern suchen: einen Vater, einen Erlöser, oder einfach einen Menschen, der unsere Ängste in Worte fasst.

Literaturhinweise:
Freud, S. (1939). Der Mann Moses und die monotheistische Religion. GW XVI.
Jung, C.G. (1950). Psychologie und Religion. Zürich: Rascher.
Assmann, J. (1992). Das kulturelle Gedächtnis. München: C.H. Beck.
Turner, V. (1969). The Ritual Process: Structure and Anti-Structure. Chicago: Aldine.
Kaës, R. (2007). Das Subjekt der Gruppenerfahrung. Gießen: Psychosozial-Verlag.
Grun, A. (2011). Die Macht der Rituale. Vier-Türme-Verlag.
Drewermann, E. (2002). Die Struktur des Bösen. Olten: Walter Verlag.

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