Unterwerfung vs. Kontrolle: Ein zentraler Konflikt in der psychodynamischen Diagnostik und seine Diagnosen im Rahmen der OPD

In der psychodynamischen Diagnostik spielen Konflikte zwischen Unterwerfung und Kontrolle eine zentrale Rolle. Diese Dynamik beschreibt das Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis, Kontrolle über das eigene Leben zu haben und gleichzeitig die Unterwerfung zu erleben, sei es durch äußere Umstände oder durch innere, unbewusste Kräfte. Dieser Konflikt ist tief in der psychischen Struktur vieler Menschen verwurzelt und beeinflusst entscheidend das Verhalten, die Beziehungsgestaltung und die Selbstwahrnehmung. Besonders in der operationalisierten psychodynamischen Diagnostik (OPD) wird dieser Konflikt als ein wichtiger Bestandteil der Achse 2 betrachtet, die sich mit der Beziehungsgestaltung befasst.
In diesem Blogartikel wollen wir den Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle genauer betrachten, seine psychodynamischen Grundlagen erörtern und aufzeigen, welche Diagnosen zu diesem Konflikt neigen.
1. Der Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle
Der Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle ist ein wesentlicher Bestandteil vieler psychischer Störungen und Persönlichkeitsdynamiken. Auf der einen Seite gibt es den Wunsch nach Kontrolle – nach der Fähigkeit, das eigene Leben und die eigenen Emotionen zu steuern, zu ordnen und zu beherrschen. Auf der anderen Seite existiert die Angst vor Kontrollverlust, die zu einem Gefühl der Hilflosigkeit oder Unterwerfung führen kann. Dieser innere Widerspruch kann sich sowohl in zwischenmenschlichen Beziehungen als auch in der Beziehung zum eigenen Körper und Geist manifestieren.
Die psychodynamische Theorie geht davon aus, dass Menschen, die stark auf Kontrolle fixiert sind, oft tiefe Ängste vor Ohnmacht, Abhängigkeit oder dem Verlust der Eigenständigkeit haben. Andererseits kann die Unterwerfung ein Schutzmechanismus sein, um Konflikte zu vermeiden oder sich vor der Angst vor Ablehnung oder Gewalt zu schützen.
2. Der Konflikt in der Beziehungsgestaltung
In der Beziehungsgestaltung, besonders in therapeutischen Prozessen, kommt der Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle oft zum Vorschein. Ein Patient, der in seiner Kindheit zu einem passiven Verhalten erzogen wurde, kann in der therapeutischen Beziehung Unterwerfung zeigen, weil er keine Kontrolle über seine Gefühle und Gedanken hat oder weil er die Kontrolle an den Therapeuten abgibt, um nicht mit inneren Ängsten konfrontiert zu werden.
Auf der anderen Seite könnte ein Patient, der gelernt hat, immer die Kontrolle zu behalten – sei es aus Angst vor Verletzlichkeit oder durch das Erleben von Machtverlusten in der Vergangenheit – Schwierigkeiten haben, in der Beziehung zu ent-spannen oder den Therapeuten als Partner zu akzeptieren. In solchen Fällen wird die Kontrolle als Abwehrmechanismus genutzt, um sich vor verletzlichen Gefühlen zu schützen.
Beide Extrempositionen, sowohl die Unterwerfung als auch die Kontrolle, können das Fortschreiten der Therapie erschweren, da sie die echte emotionale Verarbeitung blockieren und stattdessen abwehrmechanische Muster aktivieren.
3. Diagnosen, die zu diesem Konflikt neigen
Es gibt verschiedene Diagnosen und Persönlichkeitsstörungen, die besonders anfällig für den Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle sind. Diese Konflikte manifestieren sich häufig in spezifischen Beziehungsdynamiken und können tief in der psychischen Struktur der betroffenen Personen verwurzelt sein.
Obsessiv-kompulsive Persönlichkeitsstörung (OCPD)
Menschen mit einer obsessiv-kompulsiven Persönlichkeitsstörung sind häufig von einem übermäßigen Drang zur Kontrolle geprägt. Sie haben Schwierigkeiten, Kontrolle über ihre Emotionen und Handlungen loszulassen und neigen dazu, alles strukturiert und geplant zu kontrollieren. In Beziehungen zeigen sie oft rigide Verhaltensmuster und erwarten, dass andere denselben kontrollierten Ansatz verfolgen. Dieser übermäßige Drang nach Kontrolle ist oft eine Abwehr gegen Ängste vor Chaos, Fehlern und Verletzlichkeit.
In der therapeutischen Beziehung kann dies zu einem starken Widerstand gegen das Zulassen von Veränderung oder das Akzeptieren von Unsicherheit führen. Der Patient kann sich stark an der Kontrolle festhalten, um nicht das Gefühl der Ohnmacht oder der Unterwerfung zu erleben.
Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist ebenfalls eine Diagnose, die häufig mit einem inneren Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle in Verbindung steht. Menschen mit BPS haben eine instabile Selbstwahrnehmung und zeigen extreme Schwankungen in ihren Gefühlen und Verhalten. Sie können entweder kontrollierend oder unterwerfend auftreten, je nachdem, ob sie die Dominanz oder das Gefühl der Ohnmacht empfinden.
In Beziehungen wechseln sich Phasen der Abhängigkeit und der Ablehnung ab. Der Patient kann sowohl die Kontrolle an den Partner abgeben, um Nähe und Sicherheit zu erfahren, als auch in anderen Momenten die Beziehung mit möglicherweise aggressivem Verhalten zu dominieren, aus der Angst heraus, die Kontrolle zu verlieren.
Abhängige Persönlichkeitsstörung
Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung neigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zugunsten von anderen zu unterdrücken und sind oft in einer unterwürfigen Haltung. Sie sind extrem auf die Zustimmung und Unterstützung anderer angewiesen, was sie in ihren Beziehungen stark abhängig macht. In solchen Fällen zeigt sich die Unterwerfung oft als mechanismus zur Vermeidung von Konflikten und unangenehmen Emotionen.
In der therapeutischen Arbeit kann diese Unterwerfung die Selbstständigkeit des Patienten behindern und die Entwicklung einer autonomen Identität verhindern. Patienten in dieser Diagnosengruppe müssen oft lernen, ihre Abhängigkeit zu reduzieren und mehr Kontrolle über ihre eigenen Entscheidungen und ihr Leben zu gewinnen.
Narzißtische Persönlichkeitsstörung
Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung suchen häufig Kontrolle und Bewunderung, um ihre Selbstwertprobleme zu kompensieren. Sie reagieren empfindlich auf Kritik und haben Schwierigkeiten, Schwächen oder Verletzlichkeiten zu akzeptieren. Sie können entweder extrem dominant oder, in bestimmten Fällen, in unterwürfige Positionen geraten, um das äußere Bild der Stärke und Unabhängigkeit zu wahren.
In der therapeutischen Beziehung kann dieser Kontrollwunsch zu Schwierigkeiten führen, da der Patient versucht, die Beziehung nach eigenen Vorstellungen zu steuern und zu beeinflussen, ohne jedoch eine tiefere emotionale Verbindung zuzulassen.
4. Therapeutische Arbeit mit dem Konflikt
In der psychodynamischen Therapie ist es wichtig, den Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle zu erkennen und zu bearbeiten. Das Ziel ist es, den Patienten zu unterstützen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen emotionaler Unabhängigkeit und gesunder Bindung zu entwickeln. Für Patienten, die zu stark kontrollierend sind, kann dies die Arbeit an der Akzeptanz von Unsicherheit und der Erlaubnis zur Verletzlichkeit umfassen. Für Patienten, die zur Unterwerfung neigen, geht es darum, ihre Selbstständigkeit zu fördern und die Angst vor Verlust und Ohnmacht zu bearbeiten.
Die therapeutische Beziehung bietet hier die Möglichkeit, diese Konflikte in einem geschützten Raum zu explorieren und neue Beziehungsmuster zu entwickeln.
5. Fazit: Der Balanceakt zwischen Unterwerfung und Kontrolle
Der Konflikt zwischen Unterwerfung und Kontrolle ist ein fundamentaler Aspekt psychodynamischer Diagnostik und Therapie. Er betrifft nicht nur die innere Welt des Patienten, sondern auch seine Beziehungen und die Art und Weise, wie er mit anderen interagiert. Das Verständnis dieses Konflikts und die Identifikation der zugrunde liegenden psychischen Dynamiken sind entscheidend für die therapeutische Arbeit und die Unterstützung der Patienten bei der Integration von mehr Autonomie und gesunden Bindungen.

Literatur:
Gabbard, G. O. (2005). Psychodynamic Psychiatry in Clinical Practice (4. Aufl.). American Psychiatric Publishing.
McWilliams, N. (2011). Psychoanalytic Diagnosis: Understanding Personality Structure in the Clinical Process. The Guilford Press.
Kernberg, O. F. (2004). Borderline Conditions and Pathological Narcissism. Jason Aronson.

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