The Three Facts of Life: Über Endlichkeit, Ausschluss und das kreative Paar
Eine psychoanalytische Reflexion über Money-Kyrle, Bion und das Geschenk der „supreme breast“
In seinem Aufsatz “The Three Facts of Life” (1968) beschreibt Roger Money-Kyrle drei fundamentale Tatsachen, die der Mensch im Laufe seiner psychischen Entwicklung anerkennen muss:
Dass es eine Welt außerhalb des Selbst gibt.
Dass Sexualität zwischen zwei (und nicht mit sich selbst) existiert.
Dass alle Menschen sterblich sind.
Diese drei Tatsachen bilden – im Anschluss an Kleins und Bions Denken – das Grundgerüst menschlicher Reifung, den Prozess, durch den das Ich die Realität der Getrenntheit, der Endlichkeit und der eigenen Begrenztheit psychisch integriert.
1. Supremely Excluded – das Drama des Dritten
Money-Kyrle spricht von der “supreme excluded” Position: der Erfahrung, vom kreativen, belebten Paar ausgeschlossen zu sein – vom Paar, das etwas erschafft, das außerhalb unserer Kontrolle liegt. Dieses Ausschlussgefühl berührt den Kern der ödipalen Erfahrung: das Kind, das begreift, dass es nicht der Mittelpunkt der Welt ist, sondern dass es Andere gibt, die sich gegenseitig begehren und miteinander eine Welt schaffen, in die es nicht vollständig eintreten kann.
Hier schließt sich die Linie zu Bion (1962) an: Das Denken entsteht aus der Frustration, aus der Erkenntnis des Fehlens und der Unerreichbarkeit. Der “supreme excluded” ist gezwungen, das Denken zu entwickeln – anstelle der Allmacht.
Das kreative Paar (Eltern, Liebende, Analytiker und Analysand) symbolisiert zugleich das, was ausgeschlossen und begehrt wird. In dieser Spannung liegt der Ursprung der Kreativität, der Kultur und des Denkens.
„The experience of exclusion from the creative couple is the beginning of thought.“
– Money-Kyrle (1968)
2. Das kreative ödipale Paar – zwischen Zerstörung und Schöpfung
Das creative oedipal couple ist bei Money-Kyrle keine bloße Wiederholung des elterlichen Paares, sondern eine innere Organisation, die sich in der Reife des Subjekts bildet: Die Fähigkeit, zwei innere Objekte in Beziehung zueinander zu denken, ohne sie zu zerstören.
Hier verweist Money-Kyrle auf die Integration von Liebe, Neid und Dankbarkeit – Themen, die Melanie Klein in Envy and Gratitude (1957) entfaltet. Nur wer den Neid auf das schöpferische Paar, auf die “supreme breast”, aushalten kann, kann schließlich auch selbst schöpferisch werden.
Hanna Segal (1957) beschreibt dies als Übergang von der paranoid-schizoiden zur depressiven Position: Erst wenn die zerstörerischen Impulse anerkannt und betrauert werden, kann der Wunsch entstehen, zu reparieren, zu verbinden, zu denken.
3. “All will die” – die Anerkennung der Endlichkeit
Der dritte Fact of Life, die Sterblichkeit, stellt den tiefsten Angriff auf das narzisstische Selbst dar. Der Tod zerstört die Fantasie der Omnipotenz und macht den Menschen zu einem endlichen, begrenzten Wesen.
In der Anerkennung dieser Endlichkeit liegt jedoch auch die Möglichkeit zur Liebe und zur Kreativität. Wie Bion (1970)in Attention and Interpretation betont, ist das Denken ein Prozess, der „zwischen Leben und Tod“ entsteht – zwischen der Zerstörung der Illusion und der Geburt eines neuen Symbols.
Money-Kyrle schlägt hier eine Brücke zwischen psychoanalytischer Theorie und existenzieller Wahrheit: Nur wer den Tod psychisch integriert, kann leben, ohne unaufhörlich zu flüchten – in Allmachtsfantasien, Idealisierungen oder intellektuelle Abspaltungen.
4. Die „Supreme Breast“ – Ursprung und Gabe
Die supreme breast – ein Begriff, der Money-Kyrles Denken durchzieht – steht für die ideale, alles gebende und verstehende Mutter. Sie symbolisiert die Quelle der Erkenntnis und der seelischen Nahrung.
Wenn das Kind (oder der Analysand) begreift, dass diese Brust nicht besessen, sondern nur empfangen werden kann, entsteht Dankbarkeit. Das Objekt wird nicht mehr konsumiert, sondern kontempliert.
Hier zeigt sich die Verbindung zu Bions Konzept der container/contained-Beziehung: Die Brust als Container transformiert rohe Emotionen (Beta-Elemente) in etwas Denkbares, Symbolisierbares.
Die supreme breast ist also weniger eine omnipotente Instanz als eine innere Haltung: die Fähigkeit, empfangen zu können, was gegeben wird.
„The supreme breast gives meaning, not milk.“
– (frei nach Money-Kyrle)
5. Zwischen Ausschluss und Dankbarkeit
Die drei Tatsachen des Lebens – Realität, Sexualität, Endlichkeit – markieren jene Punkte, an denen die Psyche immer wieder mit ihrem eigenen Ausschluss konfrontiert ist.
Das Subjekt kann diese Erfahrung entweder mit Neid und Zerstörung beantworten – oder mit Trauer und Schöpfung. In der psychoanalytischen Situation wiederholt sich dieses Drama fortwährend: Der Analytiker als Zeuge des kreativen Paares (Analysand und sein inneres Objekt), als Container für die Erfahrung der Endlichkeit, als Repräsentant der supreme breast.
Literaturhinweise
Money-Kyrle, R. E. (1968): The Three Facts of Life. International Journal of Psycho-Analysis, 49:691–698.
Klein, M. (1957): Envy and Gratitude and Other Works 1946–1963. London: Hogarth Press.
Bion, W. R. (1962): Learning from Experience. London: Heinemann.
Bion, W. R. (1970): Attention and Interpretation. London: Tavistock.
Segal, H. (1957): Notes on Symbol Formation. International Journal of Psycho-Analysis, 38:391–397.
Britton, R. (1989): The Missing Link: Parental Sexuality in the Oedipus Complex. In: R. Britton, M. Feldman & E. O’Shaughnessy (Eds.), The Oedipus Complex Today. London: Karnac.
- Sigmund-Freud-Vorlesungen. (2025). Neid und Gier. Öffentliche Vorlesung, Wien: Sigmund Freud Gesellschaft.
Schlussgedanke
Money-Kyrles „drei Tatsachen des Lebens“ sind weniger biologische als seelische Tatsachen. Sie beschreiben den Übergang von Allmacht zu Erkenntnis, von Neid zu Dankbarkeit, von Verleugnung zu Schöpfung.
In dieser Bewegung liegt die Essenz der Psychoanalyse selbst – die Arbeit an der Anerkennung von Realität, Liebe und Tod, und damit an der Fähigkeit, zu leben.