Schwangerschaft als seelischer Prozess

Ambivalenz, Angst, Fantasien und Identitätsveränderung in der werdenden Mutterschaft

Schwangerschaft ist nicht nur ein biologischer Zustand, sondern ein tiefgreifender seelischer Prozess. Sie berührt archaische Schichten des Selbst, aktiviert unbewusste Fantasien und ruft zugleich existentielle Ängste hervor. Für die Psychoanalyse ist sie ein Übergangsraum zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Du, zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Ambivalenz und Regression

Die Schwangerschaft konfrontiert die Frau mit einer doppelten Realität: Sie ist zugleich Subjekt und Objekt, Gebende und Empfangende, sich selbst und ein anderes Leben. Helene Deutsch (1945) beschrieb diese Erfahrung als „doppelte Identität“ der Schwangeren – eine Identität, die durch Ambivalenz geprägt ist. Freude und Angst, Stolz und Ohnmacht, Verschmelzung und Abgrenzung stehen nebeneinander.

Viele Frauen erleben in dieser Phase eine Regression auf frühkindliche Niveaus: Bedürftigkeit, Abhängigkeit, gesteigerte Empfindsamkeit. Winnicott (1956) sprach in diesem Zusammenhang von der primary maternal preoccupation – einem Zustand intensiver psychischer Hinwendung, in dem sich die werdende Mutter auf das Kind einstellt. Diese Regression ist nicht pathologisch, sondern notwendig, um das entstehende Leben innerlich zu „halten“.

Angst und Fantasie

Mit der physischen Veränderung gehen unbewusste Ängste einher: Angst vor Kontrollverlust, vor der eigenen Körperlichkeit, vor Beschädigung oder Verlust des Kindes. In der Fantasie verschmelzen biologische Vorgänge mit frühen Beziehungserfahrungen – das Kind kann als Teil des Selbst, als Rivalin, als Wiedergänger*in, als Wunsch- oder Schuldobjekt erlebt werden.

Helene Deutsch sah in der Schwangerschaft ein Wiederaufleben der frühesten Mutter-Kind-Dyade: Die Frau wird – im psychischen Sinn – wieder Tochter, identifiziert sich mit der eigenen Mutter, aber auch mit dem Kind in ihr. Damit werden verdrängte Gefühle aus der eigenen frühen Abhängigkeit wachgerufen – Sehnsucht, Schuld, Scham oder Wut.

Identitätsveränderung und neue Objektbeziehungen

Die Schwangerschaft verändert das Selbstbild radikal. Das Ich muss die Vorstellung integrieren, Trägerin eines anderen Lebens zu sein. Nancy Chodorow (1978) betonte, dass in dieser Phase gesellschaftliche und psychische Dimensionen der Mutterschaft zusammentreffen: Weibliche Identität wird nicht nur biologisch, sondern auch kulturell reproduziert.

In der Schwangerschaft wird die Frau zur „Mutter im Werden“ – ein Übergang, der oft von Verlustgefühlen begleitet ist: Verlust von Autonomie, von sexueller Unabhängigkeit, von der bisherigen Selbstdefinition. Zugleich eröffnet sich eine neue Form von Beziehungsfähigkeit – eine Beziehung zu einem Wesen, das noch nicht getrennt, aber schon anwesend ist.

Frühe Mutter-Kind-Beziehung und innere Vorbereitung

Psychoanalytische Forschung (z. B. Winnicott, Bion, Stern) hat gezeigt, dass die psychische Beziehung zum Kind bereits vor der Geburt beginnt. Fantasien, Träume, Körperempfindungen bilden eine erste Matrix der Bindung. Die Mutter „trägt“ nicht nur den Körper des Kindes, sondern auch seine psychische Repräsentation.

Diese frühe Beziehung kann von inneren Konflikten durchzogen sein – etwa, wenn ungelöste Themen der eigenen Kindheit unbewusst in die Beziehung zum Ungeborenen einfließen. Psychoanalytische Begleitung kann hier helfen, die Ambivalenzen zu verstehen und einen inneren Raum für die neue Beziehung zu schaffen.

Schluss

Schwangerschaft ist eine seelische Schwellenzeit, in der die Frau sich selbst neu erfährt – in Nähe und Fremdheit zugleich. Sie konfrontiert mit Abhängigkeit, Kreativität, Angst und Hingabe. Aus psychoanalytischer Sicht ist sie ein Spiegel früher Beziehungserfahrungen und zugleich eine Möglichkeit zur Integration von Regression und Autonomie.


Literaturhinweise:

  • Deutsch, H. (1945). Psychology of Women. Vol. II: Motherhood. New York: Grune & Stratton.

  • Chodorow, N. (1978). The Reproduction of Mothering: Psychoanalysis and the Sociology of Gender. Berkeley: University of California Press.

  • Winnicott, D. W. (1956). Primary Maternal Preoccupation. In: Collected Papers: Through Paediatrics to Psycho-Analysis. London: Tavistock.

  • Stern, D. (1995). The Motherhood Constellation. New York: Basic Books.

  • Bion, W. R. (1962). Learning from Experience. London: Heinemann.

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