Psychoanalytische Gedanken zu Geburt und Trauma
Wie Geburtserfahrungen – eigene oder als Mutter – unbewusste Ängste berühren können
Geburt ist ein Grenzereignis – körperlich, seelisch, symbolisch. Sie markiert den Übergang von Innen nach Außen, von Symbiose zu Trennung, von Potenzial zu Realität. In dieser Schwelle liegen sowohl schöpferische als auch traumatische Kräfte. Psychoanalytisch gesehen ist die Geburt kein rein biologischer Akt, sondern eine tiefenpsychologisch hochbedeutsame Erfahrung, die unbewusste Ängste, früheste Beziehungsmuster und archaische Phantasien reaktivieren kann – sowohl bei der Gebärenden als auch im späteren Leben eines Menschen.
Geburt als Urtrauma
Otto Rank (1924) formulierte in Das Trauma der Geburt die These, dass die Geburt das erste große Trennungstrauma des Menschen darstellt. Mit dem Verlassen des mütterlichen Körpers beginnt das Bewusstsein der Getrenntheit, und damit das Begehren nach Wiedervereinigung. Auch wenn Ranks Theorie später von Freud relativiert wurde, bleibt die Vorstellung zentral, dass frühe Trennungserfahrungen das unbewusste Erleben von Angst, Verlust und Bindung prägen.
In der psychoanalytischen Praxis zeigt sich, dass Menschen in Krisen oder Übergängen – etwa bei Krankheit, Verlust, oder Geburt des eigenen Kindes – oft unbewusst auf diese archaischen Erlebnisschichten zurückgreifen. Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Überflutung können an jene frühe Erfahrung erinnern, in der das Subjekt zum ersten Mal „in die Welt gestoßen“ wurde.
Die Geburt als Wiederholung und Spiegelung
Für viele Frauen kann die eigene Geburtserfahrung – als Gebärende – unbewusste Konflikte mit der eigenen Mutter oder der frühen Abhängigkeit wachrufen. Die Körperöffnung, der Kontrollverlust, die existenzielle Nähe zu Schmerz und Tod berühren seelische Tiefenschichten, die oft mit Angst vor Ausgeliefertsein oder Vernichtung verbunden sind.
Helene Deutsch (1945) beschrieb die Geburt als ambivalente Erfahrung von „Selbsthingabe und Selbstverlust“. Die Frau bringt nicht nur ein Kind zur Welt, sondern erlebt zugleich die Trennung von einem Teil ihrer selbst. Dieses Erleben kann tief beglückend oder zutiefst verunsichernd sein – je nachdem, wie sicher die innere Objektwelt ist und wie viel Halt die Frau in sich und in ihrer Umgebung findet.
Geburt, Angst und Kontrolle
Die medizinische Geburtshilfe versucht, Risiko und Zufall zu minimieren – ein Anliegen, das auch eine gesellschaftliche Abwehr des Unkontrollierbaren widerspiegelt. Doch psychoanalytisch betrachtet ist Geburt immer ein Ort des Nicht-Beherrschbaren: ein Geschehen, das sich der vollen Kontrolle entzieht.
Für Frauen (und auch Männer), die in frühen Beziehungen Kontrollverlust als gefährlich erlebt haben, kann dieser Aspekt besonders bedrohlich sein. Die Angst, die Kontrolle zu verlieren, ist oft die Angst, erneut einer übermächtigen Situation ausgeliefert zu sein – wie das Kind bei der eigenen Geburt oder das Subjekt in einer symbiotischen, überfordernden Beziehung.
Die Geburt des Kindes und die „Wiedergeburt“ der Mutter
Mit der Geburt des Kindes entsteht nicht nur neues Leben, sondern auch eine neue psychische Identität. Winnicott (1956) sprach von der primary maternal preoccupation – einem Zustand, in dem die Mutter sich intensiv auf das Kind einstellt und eine Art „zweites Selbst“ in sich bildet. Diese Hingabe, notwendig für die frühe Bindung, ist aber auch regressiv: Die Mutter wird wieder Tochter, das Kind in ihr ruft das Kind in ihr selbst wach.
Die Geburt kann so zur Bühne eines Wiedererlebens werden – von unbewusster Schuld, unerfüllten Abhängigkeiten, oder frühen Trennungsängsten. Manche Frauen berichten von diffusen Schuldgefühlen nach der Geburt oder von schwer erklärbaren depressiven Einbrüchen; psychoanalytisch lässt sich dies als Reaktion auf die „Wiederbegegnung mit dem eigenen inneren Baby“ verstehen – und der Angst, es zu verlieren oder zu beschädigen.
Das Trauma des Anfangs
Freud selbst sprach selten direkt vom Geburtstrauma, sah jedoch in der Angst eine Wiederholung des „ersten Angsterlebnisses“. Geburt als „Angstprototyp“ (Freud, 1926) verweist darauf, dass psychische Strukturen sich an diesem Urerlebnis orientieren. Die Art, wie wir Trennung, Verlust oder Veränderung verarbeiten, trägt Spuren dieses ersten Übergangs in sich.
Für die psychoanalytische Arbeit mit Geburts- oder Reproduktionsängsten bedeutet dies: Geburt ist immer mehr als ein körperlicher Prozess. Sie ist eine Wiederkehr des Anfangs – eine Konfrontation mit der existenziellen Erfahrung des „In-die-Welt-Geworfen-Seins“.
Schlussgedanke
Geburt vereint die Polaritäten des Lebens: Anfang und Ende, Schmerz und Ekstase, Hingabe und Kontrolle. Als seelischer Prozess fordert sie das Ich heraus, seine Grenzen neu zu verhandeln. Psychoanalytisch verstanden ist Geburt eine Schwelle, an der das Unbewusste besonders laut spricht – über Angst, Abhängigkeit, Schuld und den Wunsch nach Wiedervereinigung.
Literaturhinweise:
Rank, O. (1924). Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse. Leipzig/Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
Freud, S. (1926). Hemmung, Symptom und Angst. GW XIV. London: Imago.
Deutsch, H. (1945). Psychology of Women, Vol. II: Motherhood. New York: Grune & Stratton.
Winnicott, D. W. (1956). Primary Maternal Preoccupation. In: Collected Papers: Through Paediatrics to Psycho-Analysis. London: Tavistock.
Bion, W. R. (1962). Learning from Experience. London: Heinemann.