„Hold On to Your Kids“ – Bindung vor Peer-Einfluss schützen

Literatur:
Neufeld, G., & Maté, G. (2004). Hold On to Your Kids: Why Parents Need to Matter More Than Peers. Toronto: Vintage Canada.


Gordon Neufeld und Gabor Maté argumentieren in Hold On to Your Kids, dass Kinder heutzutage häufig stärker von Gleichaltrigen als von ihren Eltern geprägt werden. Diese Verschiebung kann weitreichende Folgen haben, etwa Schwierigkeiten in der Identitätsentwicklung, in der Wertebildung oder in der emotionalen Stabilität. Die Autoren machen deutlich, dass eine starke und sichere Bindung zwischen Eltern und Kind die Grundlage für eine gesunde Entwicklung bildet. Aus psychoanalytischer Sicht spricht man hier von der sogenannten Primatbindung: Das Kind benötigt eine sichere, emotionale Beziehung zu den Eltern, bevor Gleichaltrige oder gesellschaftliche Normen seine Orientierung bestimmen können.

Kinder orientieren sich zunächst an ihren Eltern oder primären Bezugspersonen. Ist diese Bindung schwach, suchen sie Sicherheit und Orientierung zunehmend bei Gleichaltrigen. Diese Peer-Orientierung kann Druck, Konkurrenzverhalten, Risikoneigungen und Überangepasstheit fördern. Langfristig zeigen sich die Folgen einer schwachen Elternbindung etwa in Schwierigkeiten in Schule und Freundschaften, fehlender emotionaler Regulierung, übermäßiger Anpassung oder Rebellion sowie in einem Verlust von Werten und innerer Orientierung.

Neufeld und Maté geben praxisnahe Strategien, wie Eltern die Bindung zu ihren Kindern bewusst stärken können. Dazu gehört, Qualitätszeit mit dem Kind zu verbringen, emotionale Nähe herzustellen, zuzuhören und gemeinsam zu spielen. Ebenso wichtig ist emotionale Führung, das heißt Orientierung und Grenzen zu setzen, statt nur Regeln vorzuschreiben. Die Bindung sollte in der Priorität vor Leistung oder Gehorsam stehen. Außerdem empfiehlt es sich, die Gefühle des Kindes zu spiegeln, Affekte zu verstehen, zu validieren und zu regulieren.

Die psychoanalytische Perspektive unterstützt diese Sichtweise: Die Betonung der primären Bindung korrespondiert mit Bowlbys Bindungstheorie und der psychoanalytischen Erkenntnis, dass frühe Beziehungserfahrungen die Affektregulation, das Selbstwertgefühl und die Beziehungsfähigkeit eines Kindes prägen. Frühzeitiger Peer-Einfluss kann unbewusste Konflikte und Ängste verstärken, die sich später als Selbstwertprobleme, Angststörungen oder gestörte Beziehungsmuster manifestieren.

Für Therapeut:innen bietet das Buch konkrete Anknüpfungspunkte: Es zeigt, wie frühkindliche Bindungserfahrungen langfristige Auswirkungen auf Verhalten und psychische Gesundheit haben. In der Elternberatung sollte der Fokus auf der Beziehung liegen, nicht nur auf dem Verhalten. In der Prävention kann die emotionale Basis der Kinder gestärkt werden, um Probleme in Schule oder Sozialleben zu vermeiden. In der therapeutischen Praxis lässt sich durch das Verständnis früher Bindungsmuster die Peer-Orientierung von Kindern analysieren und ihre Auswirkungen reflektieren.

Zusammenfassend zeigt Hold On to Your Kids eindrücklich, dass elterliche Bindung die wichtigste Ressource für Kinder ist. Peer-Einflüsse sind zwar normal und unvermeidbar, dürfen jedoch nicht die primäre emotionale Orientierung ersetzen. Das Buch bietet Eltern, Pädagog:innen und Therapeut:innen praxisnahe Strategien, um Kinder emotional zu begleiten und zu stärken, sodass sie sicher, resilient und selbstbewusst heranwachsen.

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