Die Bedeutung innerer Konflikte bei körperlichen Symptomen
Posted On
Über psychosomatische Zusammenhänge zwischen Seele und Körper In der psychoanalytischen Tradition gilt der menschliche Körper nicht nur als biologisches, sondern auch als symbolisches Feld — ein Ort, an dem unbewusste Konflikte, verdrängte Affekte und unaufgelöste Spannungen Ausdruck finden können. Bereits Sigmund Freud wies darauf hin, dass das Symptom eine „Konversion“ seelischer Erregung ins Körperliche sein kann. Was in der Psyche keinen Ausdruck findet, kann sich im Körper einschreiben. Vom „sprechenden Organ“ zur psychosomatischen Struktur Franz Alexander (1950) gilt als einer der Begründer der modernen Psychosomatik. In seiner „Chicago-Schule“ untersuchte er spezifische Krankheitsbilder — etwa Asthma, Magengeschwüre oder Colitis ulcerosa — und sah sie als Ausdruck spezifischer unbewusster Konflikte. So könne zum Beispiel ein ungelöster Abhängigkeitskonflikt, verbunden mit unterdrückter Wut und Hilflosigkeit, in einer chronischen Magenproblematik Ausdruck finden. Alexander sprach vom „sprechenden Organ“: Der Körper übernimmt die Sprache der Seele, wenn Worte fehlen. Die Psychoanalytikerin Helene Deutsch betonte in ihren Arbeiten zur „psychogenen Körperreaktion“ die Bedeutung von Affektunterdrückung und Ich-Schwäche. Wenn das Ich die emotionale Spannung nicht symbolisch oder sprachlich verarbeiten kann, greift der Körper ein – als Notausgang für das Unaussprechliche. Der Verlust der Symbolisierung – Marty und die psychosomatische Ökonomie Pierre Marty und die Pariser psychosomatische Schule haben das Verständnis psychosomatischer Prozesse in den 1960er- und 1970er-Jahren vertieft. Marty beobachtete, dass viele psychosomatische Patient*innen nicht durch eine Überfülle an Konflikten, sondern durch eine Art seelische „Verarmung“ auffallen: Gedankenarmut, Mangel an Fantasie und eine sogenannte „operative Lebensweise“ (vie opératoire). In dieser Haltung werden Emotionen nicht reflektiert, sondern funktional gehandhabt – sie werden gelebt, ohne erlebt zu werden. Der Körper tritt in solchen Fällen an die Stelle der Psyche: Anstatt einen Konflikt zu imaginieren oder zu symbolisieren, reagiert der Organismus mit funktionellen oder entzündlichen Prozessen. Für Marty war das psychosomatische Geschehen daher weniger Ausdruck eines verdrängten Konflikts im klassischen Sinne, sondern einer Störung der psychischen Funktion selbst – einer Regression auf ein vor-symbolisches Niveau. Konflikt, Abwehr und Ausdruck Die psychoanalytische Perspektive auf psychosomatische Erkrankungen verbindet zwei Blickrichtungen: Einerseits die Dynamik unbewusster Konflikte (z. B. Abhängigkeit vs. Autonomie, Aggression vs. Liebe), andererseits die Fähigkeit des psychischen Apparates, Affekte zu verarbeiten. Körperliche Symptome erscheinen dann als Kompromissbildung: Sie lösen den Konflikt nicht, sondern übersetzen ihn in eine andere Sprache. Ein Beispiel: Eine Person, die unbewusst aggressive Impulse gegen eine geliebte Bezugsperson richtet, könnte diese Spannung durch chronische Muskelverspannungen, Kopfschmerzen oder Magenbeschwerden „abtragen“. Die körperliche Reaktion wird zum Träger des unbewussten Konflikts, zum Ausdruck einer seelischen Ambivalenz, die nicht symbolisch gehalten werden kann. Heilen heißt: dem Körper das Wort zurückgeben In der psychoanalytischen Behandlung psychosomatischer Symptome geht es weniger darum, den Körper zu „heilen“, als darum, dem Körper eine Sprache zu geben. Das Symptom wird nicht bekämpft, sondern verstanden – als Ausdruck eines Konflikts, der bislang keinen symbolischen Ort finden konnte. Durch die Arbeit am Unbewussten wird der Patient eingeladen, wieder zu fühlen, zu denken, zu fantasieren – das Körperliche wird ins Psychische zurückgeführt. Damit wird auch eine ethische Dimension sichtbar: Der Körper ist nicht bloß Opfer, sondern Träger der Wahrheit des Subjekts. Er spricht dort, wo die Psyche schweigt. Literaturhinweise: Alexander, F. (1950). *Psychosomatic Medicine: Its Principles and Applications.* New York: Norton.
Deutsch, H. (1959). *The Psychology of Women, Vol. II.* New York: Grune & Stratton.
Marty, P. (1968). *La psychosomatique de l’adulte.* Paris: PUF.
Marty, P., de M’Uzan, M. & David, C. (1963). *L’investigation psychosomatique.* Paris: PUF.
Schur, M. (1955). *Comments on the Metapsychology of Somatization.* *Psychoanalytic Study of the Child*, 10, 119–164. In der Sprache des Körpers offenbart sich das Unbewusste – oft deutlicher, als es die Worte vermögen.