Angst vor Krankheit – Wenn die Sorge um den Körper zur seelischen Last wird

Über Hypochondrie, Gesundheitsangst und den Körper als Bühne unbewusster Konflikte Kaum ein Thema berührt die Grenze zwischen Körper und Seele so deutlich wie die Angst vor Krankheit. In der psychoanalytischen Arbeit begegnet man immer wieder Menschen, die in der ständigen Sorge um ihre Gesundheit gefangen sind – in der Angst, ein Symptom zu übersehen, eine tödliche Krankheit zu entwickeln, oder vom eigenen Körper „verraten“ zu werden. Diese Angst, medizinisch oft als Hypochondrie oder Gesundheitsangst bezeichnet, ist keine bloße Übertreibung, sondern Ausdruck eines tiefen inneren Konflikts. Der Körper als Bühne der Seele Freud bemerkte bereits 1917 in seinen *Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse*, dass körperliche Empfindungen Träger unbewusster Bedeutungen sein können. Der Körper wird zur Bühne, auf der verdrängte Wünsche, Ängste und Konflikte inszeniert werden. In der Hypochondrie richtet sich der Blick des Subjekts obsessiv nach innen: Jede Empfindung wird zum möglichen Zeichen des Verfalls, jedes Ziehen zum Hinweis auf Gefahr. Diese Fixierung auf den Körper dient dabei oft der Abwehr seelischer Spannung. Indem sich die Angst auf ein körperliches Objekt richtet – auf das Herz, die Lunge, den Darm, die Haut – wird sie scheinbar konkret und damit kontrollierbarer. Was im Inneren unbestimmt bedrohlich ist, wird im Körper lokalisiert: Der Körper wird zur „Projektionsfläche“ des Unbewussten. Hypochondrie als narzisstische Krise Karl Abraham und später auch Helene Deutsch beschrieben die Hypochondrie als narzisstische Erkrankung: Das libidinöse Interesse, das sich ursprünglich auf äußere Objekte richtet, zieht sich auf den eigenen Körper zurück. Der hypochondrische Mensch ist nicht einfach „krankheitsängstlich“ – er ist in einer tiefen Beziehungskrise mit sich selbst gefangen. Der Körper wird zugleich geliebt und gehasst, überwacht und misstraut, idealisiert und verdächtigt. Jede körperliche Empfindung wird zum Hinweis auf die eigene Fragilität, auf das Scheitern der narzisstischen Allmacht. Franz Alexander (1950) sprach davon, dass sich in solchen Symptomen eine „Affektbindung an den Körper“ zeige: Unausgedrückte Emotionen, insbesondere Angst und Aggression, binden sich an somatische Empfindungen. Spital, Arzt, Untersuchung – die Suche nach Halt Viele Patient*innen mit Gesundheitsängsten erscheinen immer wieder in Spitälern, bei Ärzt*innen, in Notaufnahmen. Häufig mit dem Wunsch nach Beruhigung – „Ich will nur wissen, dass alles in Ordnung ist“ – und zugleich mit einem tiefen Misstrauen: „Vielleicht wurde doch etwas übersehen.“ Diese Ambivalenz spiegelt das innere Dilemma wider: Das Bedürfnis nach Halt und Kontrolle trifft auf ein unbewusstes Misstrauen gegenüber Fürsorge, das oft in frühen Beziehungserfahrungen wurzelt. In der Übertragung taucht dieses Muster oft wieder auf. Der Therapeut wird zum inneren Arzt – ein Objekt, das beruhigen, bestätigen, schützen soll, zugleich aber auch zum Objekt der Angst wird. Wird er „übersehen“, „nicht ernst nehmen“, „im Stich lassen“? So wiederholt sich im therapeutischen Raum jene Dynamik, die auch das körperliche Leiden prägt. Wenn die Sorge zur Last wird Gesundheitsangst erschöpft. Sie bindet enorme seelische Energie, führt zu sozialem Rückzug, Misstrauen gegenüber medizinischen Befunden und zu einem Leben in ständiger Alarmbereitschaft. Aus psychoanalytischer Sicht ist diese Daueranspannung jedoch nicht zufällig, sondern Ausdruck einer tieferliegenden Angst vor Ohnmacht, Kontrollverlust, Vergänglichkeit – und letztlich vor dem Tod. In der Hypochondrie wird der Körper zum Ort, an dem das Subjekt seine Endlichkeit ständig spürt, aber zugleich abwehrt. Die Angst vor Krankheit ist so auch eine Angst vor dem Lebendigsein selbst: vor dem, was sich im Inneren bewegt, verändert, unkontrollierbar bleibt. Psychoanalytische Arbeit – vom Symptom zum Subjekt In der psychoanalytischen Behandlung solcher Phänomene steht nicht die Beruhigung des Körpers im Vordergrund, sondern das Verstehen der inneren Szene, die sich darin ausdrückt. Das Ziel ist nicht, die Angst zum Schweigen zu bringen, sondern sie zu übersetzen: Wovor schützt sie? Welche Beziehungskonflikte wiederholt sie? Welche unbewusste Bedeutung hat die Fixierung auf den Körper? Im therapeutischen Prozess kann der Körper nach und nach wieder zum belebten, fühlenden, symbolischen Ort werden – nicht nur zum Träger von Angst, sondern zum Ort von Ausdruck und Bedeutung. Literaturhinweise: Abraham, K. (1924). *A Short Study of the Development of the Libido, Viewed in the Light of Mental Disorders.* In: *Selected Papers on Psycho-Analysis.* London: Hogarth Press. Alexander, F. (1950). *Psychosomatic Medicine: Its Principles and Applications.* New York: Norton. Deutsch, H. (1942). *Some Forms of Emotional Disturbance and Their Relationship to Schizophrenia.* *Psychoanalytic Quarterly*, 11, 301–321. Freud, S. (1917). *Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse.* GW XI. Marty, P. (1968). *La psychosomatique de l’adulte.* Paris: PUF. Schur, M. (1955). *Comments on the Metapsychology of Somatization.* *Psychoanalytic Study of the Child*, 10, 119–164. Die Angst vor Krankheit ist selten nur Angst vor Krankheit. Oft ist sie der Versuch, einer tieferliegenden seelischen Wahrheit eine Form zu geben – in der einzigen Sprache, die noch bleibt: der Sprache des Körpers.*

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