Burnout, Erschöpfung und Selbstwert

Einleitung: Zwischen Hochleistung und innerer Leere

Viele Menschen mit ADHS erleben nicht nur Impulsivität und emotionale Dysregulation, sondern auch eine ständige innere Spannung: die Notwendigkeit, „mehr zu geben“ als andere, um im Alltag bestehen zu können.
Diese permanente Überkompensation führt häufig zu chronischer Erschöpfung, Überlastung und in vielen Fällen zu Burnout. Perfektionismus und Selbstabwertung werden zu festen Begleitern – Leistung wird zum Überlebensmodus, zum Versuch, das eigene Selbstwertgefühl zu stabilisieren.


Überkompensation und narzisstisches Gleichgewicht

Helmut Kohut (1977) beschreibt das narzisstische Gleichgewicht als die Balance zwischen Selbstwert, innerer Kohärenz und äußeren Erfolgen. Bei ADHS-Betroffenen ist dieses Gleichgewicht häufig fragil:

  • Fehlende Impulskontrolle und Organisationsschwierigkeiten führen dazu, dass Betroffene permanent nach außen hin „funktionieren“ müssen.

  • Überkompensation zeigt sich in exzessivem Arbeiten, ständiger Selbstoptimierung oder der Angst, nicht gut genug zu sein.

  • Perfektionismus wird zu einem Abwehrmechanismus gegen das Erleben von Scham und Unzulänglichkeit.

Die ständige innere Spannung kostet Energie – die Ressourcen für Selbstreflexion, emotionale Regulation und kreative Entfaltung werden zunehmend erschöpft.


Scham und Selbstwert: Die innere Spirale

Burnout bei ADHS hat nicht nur biologische und organisatorische Ursachen, sondern ist tief psychodynamisch verwurzelt.
Die Erfahrung, „immer hinterherzuhinken“ oder von sich selbst enttäuscht zu sein, erzeugt Scham. Diese Scham ist schwer zu ertragen und führt zu noch stärkerer Leistungskompensation – ein Teufelskreis entsteht.

Henseler (2020) beschreibt dies als „Burnout des Selbst“, bei dem die Überlastung nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch erlebt wird. Betroffene fühlen sich unfähig, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, und erleben ihre Erschöpfung als persönlichen Mangel.


Übertragung und Gegenübertragung in der Therapie

In der psychoanalytischen Arbeit zeigt sich dieses Muster deutlich:

  • Patienten projizieren ihre Selbstkritik auf die Therapeutin oder auf andere Autoritätspersonen.

  • Die Therapeutin erlebt in der Gegenübertragung häufig Überforderung, weil die Erwartungen an Leistung, Organisation oder Selbstkontrolle hoch sind.

  • Diese Dynamik bietet jedoch eine wertvolle Möglichkeit: Sie ermöglicht es, das fragile narzisstische Gleichgewicht zu beobachten, Schamgefühle zu erkennen und Strategien zur Stabilisierung des Selbstwerts zu entwickeln.

Therapie wird so zu einem Ort, an dem Überkompensation verstanden, Scham gehalten und Selbstwert gefestigt werden können. Die Wiederholung von Erfahrung, in der Erschöpfung nicht als persönliches Versagen, sondern als systemisches Phänomen anerkannt wird, ermöglicht Entlastung und innere Regulation.


Praktische Aspekte im Alltag

Für Betroffene ist es wichtig, strukturelle und psychologische Strategien zu kombinieren:

  • Selbstreflexion: Erkennen von Überkompensation, Perfektionismus und Schammustern.

  • Grenzen setzen: Aufgaben priorisieren, Delegieren, Pausen einplanen.

  • Psychoedukation: Wissen über ADHS und Burnout-Gefahr reduziert Schuldgefühle.

  • Therapeutische Begleitung: Affektregulation, Containment und Stärkung des Selbstwertes durch empathische Beziehung.

Barkley (2016) betont, dass ein bewusster Umgang mit ADHS-typischen Belastungen und das Erlernen von Selbstmanagementstrategien das Risiko für Burnout deutlich senkt.


Fazit: Burnout als Warnsignal – nicht als Versagen

Burnout bei ADHS ist kein Zeichen persönlicher Schwäche, sondern Ausdruck der hohen inneren Belastung durch Überkompensation, Perfektionismus und unzureichende Ressourcen.
Die psychoanalytische Perspektive macht deutlich: Es geht darum, Scham zu halten, Selbstwert zu stabilisieren und Affekte symbolisch zu verarbeiten. Erst wenn diese Prozesse integriert werden, entsteht die Möglichkeit, das eigene Leben nachhaltig zu regulieren und Überlastung vorzubeugen.

Burnout wird so zu einem Signal – zur Reflexion, zur Selbstfürsorge und zur therapeutischen Arbeit – anstatt zur Bestätigung von „nicht Genügen“.


Literatur

  • Barkley, R. A. (2016). ADHD in Adults: What the Science Says. Guilford Press.

  • Henseler, M. (2020). Burnout – Eine psychoanalytische Betrachtung. Psychosozial-Verlag.

  • Kohut, H. (1977). The Restoration of the Self. International Universities Press.

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