Ungewollte Kinderlosigkeit und der unerfüllte Wunsch nach Kontrolle
Zwischen biologischer und psychischer Fruchtbarkeit, zwischen Ohnmacht und Allmachtsphantasie
Ungewollte Kinderlosigkeit stellt für viele Frauen und Paare eine existenzielle Krise dar. Sie berührt Grundfragen von Identität, Körper, Weiblichkeit, Männlichkeit und Selbstwirksamkeit. Im Spannungsfeld zwischen dem biologischen Wunsch, Leben hervorzubringen, und der psychischen Fähigkeit, Neues entstehen zu lassen, entfalten sich unbewusste Konflikte, die tief in frühe Beziehungserfahrungen und Selbstbilder zurückreichen.
Der Körper als Schauplatz unbewusster Konflikte
Wenn der Körper „nicht funktioniert“, wie erwartet, wird er zur Bühne psychischer Auseinandersetzungen. Die Erfahrung von Unfruchtbarkeit konfrontiert mit Ohnmacht und Kontrollverlust – zentrale Themen, die oft schon früh im Leben verankert sind. Der weibliche Körper, der sich bislang vielleicht als verfügbar und steuerbar erlebt wurde, entzieht sich der willentlichen Kontrolle. Dies kann alte narzisstische Verletzungen reaktivieren: das Gefühl, „nicht richtig“ zu sein, defizitär, versagt zu haben.
Helene Deutsch (1945) sah in der Mutterschaft einen zentralen Aspekt weiblicher Identität, dessen Scheitern zu tiefen seelischen Erschütterungen führen kann. Die Unfähigkeit, schwanger zu werden, wird dabei häufig nicht nur als medizinisches Problem, sondern als Identitätskrise erlebt – als Bruch in der symbolischen Verbindung zwischen Körper, Psyche und Selbstbild.
Der Wunsch nach Kontrolle
In unserer modernen Kultur wird Fruchtbarkeit zunehmend technisch und planbar gedacht. Medizinische Reproduktionsverfahren versprechen Beherrschbarkeit des Lebensbeginns. Diese Kontrollillusion kann jedoch unbewusste Allmachtsfantasien nähren: Der Wunsch, alles „richtig zu machen“, das Leben zu erzwingen, das Kind zu schaffen, statt es zu empfangen.
Psychoanalytisch betrachtet kann dieser Kontrollwunsch eine Abwehr gegen tieferliegende Ohnmachtsgefühle sein – gegen die Angst vor Abhängigkeit, Verlust und Nichtsein. Pierre Marty (1966) beschrieb in seiner psychosomatischen Theorie, wie übermäßige Kontrolle und Affektverarmung den lebendigen Ausdruck innerer Regungen blockieren. Wo der seelische Austausch zwischen Körper und Psyche erstarrt, verliert der Körper seine symbolische Sprache.
Psychische und symbolische Fruchtbarkeit
Fruchtbarkeit im psychoanalytischen Sinn meint mehr als biologische Reproduktion: Sie bezeichnet die Fähigkeit, innere Räume zu öffnen – für Fantasie, Beziehung, Kreativität. Eine Frau oder ein Mann kann psychisch „unfruchtbar“ sein, wenn das seelische Erleben starr, überkontrolliert oder von Angst vor Verletzlichkeit bestimmt ist.
Nancy Chodorow (1978) zeigte, dass Mutterschaft auch die Wiederbegegnung mit der eigenen Mutter bedeutet – und dass unbewältigte Erfahrungen der Abhängigkeit oder Zurückweisung in den Wunsch nach oder gegen Kinder eingeschrieben sind. Die ungewollte Kinderlosigkeit kann so auch Ausdruck eines unbewussten inneren Konflikts zwischen Hingabe und Autonomie sein.
Ohnmacht als seelische Erfahrung
Ungewollte Kinderlosigkeit zwingt zur Konfrontation mit Grenzen – der Biologie, der Medizin, der eigenen Allmachtsphantasien. Diese Erfahrung kann, wenn sie durchgearbeitet wird, zu einer seelischen Reifung führen: zur Anerkennung der eigenen Begrenztheit und zur Öffnung für symbolische Formen der „Geburt“ – in Beziehungen, in Kreativität, in neuen Lebensentwürfen.
Psychoanalytische Begleitung kann helfen, den Körper wieder als lebendigen, symbolischen Teil des Selbst zu erfahren – nicht als Maschine, die „funktionieren“ muss, sondern als Träger unbewusster Bedeutungen.
Literaturhinweise:
Deutsch, H. (1945). The Psychology of Women. Vol. II: Motherhood. New York: Grune & Stratton.
Chodorow, N. (1978). The Reproduction of Mothering: Psychoanalysis and the Sociology of Gender. Berkeley: University of California Press.
Marty, P. (1966). La psychosomatique de l’adulte. Paris: PUF.
Winnicott, D. W. (1956). Primary Maternal Preoccupation. In: Collected Papers: Through Paediatrics to Psycho-Analysis. London: Tavistock.
Benjamin, J. (1988). The Bonds of Love: Psychoanalysis, Feminism, and the Problem of Domination. New York: Pantheon.