Koronare Herzkrankheit: Psychoanalytische Perspektiven auf Risiko, Angst und Selbstwahrnehmung

Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist eine der weltweit häufigsten chronischen Erkrankungen. Sie entsteht durch eine Verengung der Herzkranzgefäße infolge von Arteriosklerose und kann über lange Zeit unbemerkt bleiben. Gerade diese Unsichtbarkeit macht sie tückisch – oft treten Symptome erst dann auf, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten ist.

Medizinisch steht die Früherkennung im Vordergrund: Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes oder erhöhte Blutfette werden kontrolliert, Medikamente und invasive Verfahren können den Verlauf verlangsamen. Doch jenseits dieser körperlichen Dimension eröffnet sich eine weitere Ebene: die psychosomatische Bedeutung von Herzbeschwerden.

Das Herz als Symbol

Das Herz gilt nicht nur als lebenswichtiges Organ, sondern auch als zentrales Symbol für Lebenskraft, Liebe und emotionale Integrität. Freud (1915/2001) beschrieb, dass körperliche Symptome Träger verdrängter Konflikte sein können. Druckgefühle in der Brust, Atemnot oder Herzrasen lassen sich daher nicht nur medizinisch, sondern auch psychodynamisch deuten: als Ausdruck von Angst, Stress oder unbewusster innerer Spannung.

Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio (1994) betonte, dass sogenannte somatische Marker körperliche Empfindungen mit emotionalen Erfahrungen verknüpfen. Wer zum ersten Mal Angina-pectoris-Beschwerden spürt, erlebt nicht nur körperlichen Schmerz, sondern auch existenzielle Angst – die Angst, dass das Herz, Sinnbild des Lebens, aussetzt. Diese Angst kann die Symptome verstärken und zu einem Kreislauf aus Furcht und körperlicher Reaktion führen.

Psychodynamische Aspekte der KHK

Eine Herzkrankheit berührt tiefe Schichten des seelischen Erlebens. Typische Themen sind:

  • Existenzangst: Die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit aktiviert oft verdrängte Ängste.

  • Kontrollverlust: Diagnostische Eingriffe oder plötzliche Anfälle können Gefühle von Ausgeliefertsein hervorrufen.

  • Körper und Emotion: Brustschmerzen oder Kurzatmigkeit sind nicht nur Symptome, sondern auch Signale innerer Belastung.

  • Depression und Rückzug: Studien zeigen, dass Depression den Verlauf einer KHK verschlechtern kann (Lichtman et al., 2008).

Freud (1923/2001) formulierte: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Übertragen auf die KHK bedeutet dies, unbewusste Ängste und Konflikte bewusst zu machen, um nicht nur den Körper, sondern auch das innere Erleben zu stabilisieren.

Warum Psychoanalyse hier wichtig sein kann

Eine psychoanalytische Begleitung eröffnet Patient:innen die Möglichkeit, ihre Symptome nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Botschaft zu verstehen. Sie schafft Raum, die Angst vor Krankheit und Tod zu bearbeiten und körperliche Beschwerden in den Zusammenhang der eigenen Lebensgeschichte zu stellen. So wird Prävention nicht nur zu einer medizinischen, sondern auch zu einer seelischen Aufgabe: das Herz zu schützen, indem man es ernst nimmt – als Organ und als Symbol.

Fazit

Die koronare Herzkrankheit ist mehr als eine Verengung der Herzkranzgefäße. Sie betrifft auch die seelische Haltung zum eigenen Leben, zu Angst, Verletzlichkeit und Sterblichkeit. Medizinische Behandlung und psychoanalytische Reflexion können gemeinsam helfen, körperliche Stabilität und psychische Resilienz zu fördern. Das Herz bleibt dabei das, was es immer war: ein Organ, das schlägt – und ein Symbol, das von unserem Innersten erzählt.


Literatur

  • Damasio, A. R. (1994). Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain. New York: Grosset/Putnam.

  • Freud, S. (1915/2001). Die Verdrängung. In: Gesammelte Werke, Band 14. Frankfurt am Main: Fischer.

  • Freud, S. (1923/2001). Das Ich und das Es. In: Gesammelte Werke, Band 19. Frankfurt am Main: Fischer.

  • Lichtman, J. H., et al. (2008). Depression and coronary heart disease: Recommendations for screening, referral, and treatment. Circulation, 118(17), 1768–1775.

  • Fihn, S. D., et al. (2012). 2012 ACCF/AHA/ACP/AATS/PCNA/SCAI/STS guideline for the diagnosis and management of patients with stable ischemic heart disease. Journal of the American College of Cardiology, 60(24), e44–e164.

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