Herzklappenerkrankungen: Psychoanalytische Perspektiven auf Kontrolle und Selbstwahrnehmung
Herzklappen sorgen dafür, dass das Blut im Herzen in die richtige Richtung fließt – ein hochpräzises mechanisches System. Durch angeborene oder erworbene Erkrankungen kann es jedoch zu Stenosen (Verengungen) oder Insuffizienzen (Undichtigkeiten) kommen. Diese belasten den Herzmuskel langfristig und machen eine regelmäßige kardiologische Kontrolle erforderlich. Diagnostik und Verlaufskontrolle basieren auf klinischen Gesprächen, EKGs, Bluttests und Echokardiographien. Bei fortgeschrittenen Befunden können operative Eingriffe notwendig werden.
Psychosomatische Dimensionen
Aus psychoanalytischer Perspektive sind Herzklappen symbolisch bedeutsam: Sie regulieren den Fluss des Lebens, steuern Durchlässigkeit und Druck und stehen damit auch für Kontrolle, Schutzmechanismen und Grenzen. Eine chronische Herzklappenerkrankung aktiviert oft unbewusste Ängste – etwa vor Kontrollverlust, Schwäche oder existenzieller Bedrohung. Diese können sich körperlich in Atemnot, Leistungseinschränkung oder Herzrasen ausdrücken (Freud, 1915/2001).
Die regelmäßige Kontrolle wirkt nicht nur medizinisch stabilisierend, sondern auch psychisch entlastend: Patient:innen erleben die Untersuchung als ritualisierte Sicherheit, die Angst und Unsicherheit reduziert. Gleichzeitig birgt jede neue Diagnose das Potenzial, innere Konflikte aufzurufen – etwa zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Wie Freud (1923/2001) formulierte: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung kann als Chance verstanden werden, unbewusste Ängste bewusst zu machen und zu integrieren.
Psychodynamische Begleitung
Die psychoanalytische Begleitung kann die kardiologische Betreuung auf mehreren Ebenen ergänzen:
Vorbereitung und Aufklärung: Umfassende Gespräche reduzieren Angst vor Kontrollverlust und stärken das Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Integration körperlicher Befunde: Echokardiographische Ergebnisse werden nicht nur medizinisch vermittelt, sondern auch in ihrer psychischen Bedeutung reflektiert.
Bearbeitung von Ängsten: Gefühle der Verwundbarkeit oder existenzieller Bedrohung können in einem sicheren therapeutischen Rahmen aufgearbeitet werden.
Besonders bei beschwerdefreien Patient:innen, die in regelmäßigen Abständen zu Kontrolluntersuchungen kommen, ist eine psychoanalytische Reflexion hilfreich. Sie ermöglicht es, unterschwellige Ängste vor plötzlicher Dekompensation zu erkennen und konstruktiv zu bearbeiten. Damasio (1994) beschreibt in diesem Zusammenhang die Funktion somatischer Marker: Körperliche Empfindungen, die durch Herzklappenerkrankungen ausgelöst werden, sind Träger emotionaler Erfahrungen und können bewusst integriert werden.
Fazit
Herzklappenerkrankungen sind nicht allein mechanische Funktionsstörungen des Herzens, sondern auch psychosomatische Phänomene. Regelmäßige Kontrollen sichern nicht nur die medizinische Versorgung, sondern eröffnen auch die Möglichkeit zur psychischen Verarbeitung von Ängsten und zur Stärkung der Selbstwahrnehmung. Eine integrative Betreuung, die kardiologische Expertise und psychoanalytische Reflexion verbindet, unterstützt Patient:innen dabei, ihre Erkrankung aktiv und selbstbestimmt zu bewältigen.
Literatur
Damasio, A. R. (1994). Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain. New York: Grosset/Putnam.
Freud, S. (1915/2001). Die Verdrängung. In: Gesammelte Werke, Band 14. Frankfurt am Main: Fischer.
Freud, S. (1923/2001). Das Ich und das Es. In: Gesammelte Werke, Band 19. Frankfurt am Main: Fischer.
Lichtman, J. H., et al. (2008). Depression and coronary heart disease: Recommendations for screening, referral, and treatment. Circulation, 118(17), 1768–1775.
Ponikowski, P., et al. (2016). 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. European Heart Journal, 37(27), 2129–2200.
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