Psychosomatische Erkrankungen und das Herz-Kreislauf-System – eine psychoanalytische Perspektive
Das Herz ist nicht nur ein biologisches Organ, sondern seit jeher auch ein Symbol für das Seelische: für Liebe, Lebenskraft, Verletzlichkeit und Tod. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems gehören in der modernen Medizin zu den häufigsten Todesursachen. Doch schon früh haben Psychoanalytiker die Frage gestellt, inwiefern Herz und Gefäße auch Bühne für unbewusste Konflikte und verdrängte Affekte sein können.
Psychosomatische Dimensionen des Herzens
Die klassische Psychosomatik – etwa in der Tradition von Franz Alexander und der Chicago School – sah Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Ausdruck ungelöster innerer Spannungen. Alexander (1950) beschrieb in seiner Theorie der „spezifischen Konfliktkonstellationen“, dass Hypertonie mit einer chronischen Zurückhaltung aggressiver Impulse einhergehe: „The hypertensive individual suppresses his anger, which leads to a constant sympathetic overdrive.“ (Alexander 1950, S. 125).
Damit verknüpft sich die psychoanalytische Vorstellung, dass das nicht gelebte Gefühl einen somatischen „Ausdrucksweg“ sucht. Wo Affekte nicht symbolisiert oder psychisch verarbeitet werden können, manifestieren sie sich im Körper.
Herz und Angst
In der psychoanalytischen Literatur wird das Herz vielfach mit dem Erleben von Angst in Verbindung gebracht. Freud selbst sprach von „Herzangst“ im Rahmen der Angstneurose (Freud 1895). Spätere Autoren wie Fenichel (1945) wiesen darauf hin, dass Herzsymptome wie Palpitationen und Engegefühle häufig als somatisierte Ausdrucksformen unbewusster Angst verstanden werden können.
In modernen psychosomatischen Konzepten wird das Herz als „Resonanzorgan“ affektiver Spannungen beschrieben. Marty (1990) sprach vom „opaken Körper“: Bei mangelnder Symbolisierungsfähigkeit bleiben Affekte im somatischen Ausdruck stecken. Herzrhythmusstörungen oder Blutdruckschwankungen können so als Indikatoren unbewusster emotionaler Dysregulation gedeutet werden.
Konflikt, Affekt und Gefäßsystem
Das Gefäßsystem spiegelt symbolisch Prozesse des „Fließens“ und „Stockens“. Im psychoanalytischen Verständnis kann eine arterielle Hypertonie mit einem ständigen „Zurückhalten“ aggressiver Impulse verbunden sein – der Druck steigt, weil innere Entladung nicht möglich ist. Fainting, Angina pectoris oder Herzinfarkt erscheinen dann als dramatische Szenen, in denen das Unausgesprochene und Unausgelebte körperlich zur Katastrophe drängt.
Freud betonte in seiner „Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse“, dass die Grenze zwischen psychischem und körperlichem Leiden oft künstlich gezogen werde: „Die Neurosen zeigen, wie eng die seelischen Vorgänge mit den körperlichen Funktionen verflochten sind.“ (Freud 1917, GW XI, S. 399). Diese Verschränkung gilt in besonderem Maße für das Herz-Kreislauf-System.
Therapeutische Perspektiven
Psychoanalytische Psychotherapie bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen richtet sich weniger auf „Heilung“ der organischen Erkrankung als auf die Erschließung unbewusster Konfliktzusammenhänge, die zu deren Verstärkung beitragen können. Eine wichtige Funktion liegt im „Übersetzen“ des somatischen Ausdrucks in psychische Sprache.
Wie Bion (1962) betonte, ist die Fähigkeit, Affekte zu symbolisieren („containment“), entscheidend, um Körper und Seele zu entlasten. In der therapeutischen Beziehung kann der Patient lernen, innere Spannungen nicht allein über den Körper, sondern über Worte und Deutung zu verarbeiten.
Literatur
Alexander, F. (1950): Psychosomatic Medicine. Its Principles and Applications. New York: Norton.
Bion, W. R. (1962): Learning from Experience. London: Heinemann.
Fenichel, O. (1945): The Psychoanalytic Theory of Neurosis. New York: Norton.
Freud, S. (1895): Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomkomplex als „Angstneurose“ abzutrennen. GW I.
Freud, S. (1917): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI.
Marty, P. (1990): La psychosomatique de l’adulte. Paris: PUF.